Laos Dschungelzauber
Lautlos gleiten die Kajaks an Kalksteinfelsen vorbei. Nur die Paddelschläge sind zu hören, und das Tinnitus-Gezirpe der Grillen. Wie im Film «Der Herr der Ringe» wabern Nebelschwaden an schroffen Wänden. Filmreif spiegeln sie sich auf der Wasseroberfläche wider wie auf einer riesigen Leinwand. Durchatmen, auftanken, entschleunigen: Die aus der Zeit gefallene Kulisse rund um den Nam Ou River ist ganz grosses Kino! Für die letzten Bergvölker im Norden von Laos ist der 390 Kilometer lange Fluss die wichtigste Lebensader. Seit Jahrhunderten wohnen sie in Clans in zersiedelten Dörfern links und rechts des Ufers.
Der Urwald ist ihre Heimat und die ihrer Ahnen. Es kreucht und fleucht, wohin man blickt und tritt. Wer Glück hat, erspäht eine Kobra. Sie wird nur von den Mutigsten erlegt. Unser Kobra- King heisst Tom. Mit seiner ruhigen Art wird der «Indiana Jones» aus Laos hoffentlich jede Schlange beschwören, die sich uns in den Weg legt. Der junge Mann kennt die Wunderkammer wie seine Westentasche, ist Guide, Koch, Höhlenforscher und Hobby- Astrologe. Eine Woche lang sitzen wir mit ihm im selben Boot, besser gesagt in zwei. Er wird uns auf einem 130 Kilometer langen Teilabschnitt durch die grüne Hölle navigieren. Im Kajak!
Mehr braucht es nicht für die Fluss-Safari
Der Platz auf den Sit-on-Tops ist knapp. Zelt, Schlafsack, Zahnbürste, Sonnencreme und eine Handvoll Kleider – mehr braucht es nicht für die Fluss-Safari. Schweren Herzens verabschiede ich mich von drei Vierteln meines Ballasts. Wer braucht in der Wildnis schon Augenfaltencrème, Handtäschli und iPhone-Ladekabel? Die Kajaks packen wir in Muang Khua im Distrikt Phongsali. Nach dem Frühstück in einem einfachen Guesthouse kauft Tom auf dem Markt Proviant für die kommenden Tage. Aber bitte nicht die fette Ratte, die uns im Käfig so flehend anblickt! Auch auf die getrockneten Fledermäuse, die aussehen wie ledrige Schuhsohlen, verzichten wir gerne.
Nach dem Einwassern unten am Hafen, wo sich klapprige Transportboote aneinanderreihen, paddeln wir hinein ins unbekannte Abenteuer. Schon nach wenigen Windungen umarmen uns dramatische Canyons.
Backpacker-Paradies
Das nächste grössere Dorf heisst Muang Ngoi. Es ist ein verschlafenes Backpacker-Paradies und liegt vier Tage entfernt. Viele Abschnitte des Nam Ou River liegen noch im Dornröschenschlaf. Beste Reisezeit ist von November bis März. Nach drei Stunden Schweigen und Staunen wartet der erste Lunchhalt auf einer malerischen Sandbank. Die grillierten Auberginen serviert Tom auf einem Bananenblatt.
Er würzt sie mit Lemongrass, Chili, Knoblauch und Salz. Am späten Nachmittag erreichen wir das erste Camp. Wir befinden uns irgendwo im Nirgendwo, fühlen uns wie Robinson und Freitag am anderen Ende der Welt. Doch die Ruhe währt nicht lange. Kinder springen johlend zum Strand, helfen beim Aufrichten der Zelte. Die Erwachsenen sind fasziniert von den Hightech-Paddeln aus Fiberglas.
Die Gastfreundschaft der Laoten geht ans Herz.
Ausser ihren abgetragenen Kleidern am Körper und einer windschiefen Hütte über dem Kopf besitzen sie kaum mehr als ihre Zuversicht. Khmu und Hmong heissen die indigenen Volksgruppen. Ihre Siedlungen erreicht man oft nur auf dem Wasserweg oder nach tagelangen Fussmärschen. Die ethnischen Minderheiten führen ein ärmliches Dasein. Viele sind Selbstversorger, leben vom Fischfang, dem Anbau von Korn und Gemüse, sammeln Pilze, Kräuter, Rinden, Beeren.
Das Schiesspulver für die Jagd stellen die Männer selber her. Chinesische Händler kaufen den Frauen einmal im Monat die wunderschönen gewobenen Schals ab – ein willkommener Zustupf zum bescheidenen Auskommen. Europäische Touristen verirren sich selten in diese gottverlassene Gegend. Sprachbarrieren? Man verständigt sich mit Gesten und Zeichensprache. Nur der Lehrer redet bruchstückhaft Englisch.
Freunde
Wir Fremden werden in Ban Hardgya, wo 55 Familien leben, wie Freunde empfangen. Auf geflochtenen Bambusmatten gibt es schwarzen Kaffee mit Reisschnaps, dazu getrocknetes Seegras. Junge Männer bieten uns selbst gedrehte Zigaretten an. Im einzigen Kiosk kaufen wir Kugelschreiber, Schulhefte und Süssigkeiten für die Knirpse. Papier können sich hier die wenigsten Familien leisten. Bei den Schokokeksen glänzen die Kinderaugen besonders.
The Beach» heisst unsere nächste Station. Der pudrige Sandstrand mitten im Dschungel macht seinem Namen alle Ehre: Er gehört zu den schönsten von ganz Laos, wenn nicht der Welt. Mädchen helfen beim Holzsammeln fürs Feuer. Ein Junge köpft im Wasser ein Huhn, das eine halbe Stunde später knusprig am Spiess brutzelt. Dazu gibt es «Sticky Rice», die Leibspeise. Das Fleisch ist würzig und kräftig. So muss Chicken schmecken, denke ich. Dankbar für diesen unbezahlbaren Moment unterm Sternenhimmel.
Am nächsten Morgen fahren wir weiter flussabwärts.
In den Stromschnellen fallen uns kleine «Wasserkraftwerke » auf. Die windschiefen Konstruktionen versorgen die Dörfer rudimentär mit Elektrizität. Jetzt mit dem Kajak bloss nicht in die selbst gebastelten Generatoren donnern, denke ich – und übersehe dabei fast den Wasserbüffel, der unvermittelt vor mir auftaucht. Frauen stehen bis zum Bauchnabel im Wasser, ihre Körbe sind mit Algen gefüllt. Sie werden gedünstet als Gemüse serviert und sind die perfekte Beilage zu den grätigen Winzlingen, die Tom einem Fischer abkauft. Wir müssen uns stärken.
Wir gehen unter die Höhlenforscher!
Die spektakuläre Wassergrotte liegt direkt am Fluss. Der Eingang ist schlammig und rutschig. Im hüfthohen Wasser waten wir, mit einer Stirnlampe ausgerüstet, durchs Labyrinth. Die schmalen Öffnungen sind nur etwas für Schlanke. Zum Glück haben wir bereits einige Kilos weniger auf den Rippen! Am Ende erwartet uns eine Kathedrale voller Stalagmiten und Stalaktiten und ein türkisblauer See.
Ali Baba lässt grüssen! Fledermäuse zischen am Kopf vorbei wie in allen Höhlen rund um Nong Khiaw. Während des Vietnamkriegs flüchteten Zivilisten in die Tham-Pha- Thok-Höhle. Auch vierzig Jahre später sind die Wunden des Vietnamkriegs noch omnipräsent. Rund zwei Millionen Bomben wurden über Laos abgeworfen. Die Amerikaner nannten ihre Mission «Secret War». Besonders Kletterer lieben die griffigen Wände. Doch aufgepasst: Weite Teile sind vermint.
Und es lauern neue Gefahren.
Für die Stromkonzerne aus China ist Wasserkraft das «flüssige Gold». Für das arme Laos mit seinen sauberen Flüssen Big Business. Zurzeit wird an sieben Staudämmen gebaut. Läuft alles nach Plan, was bei den Chinesen meistens der Fall ist, werden weite Abschnitte des Nam Ou River in wenigen Jahren komplett überflutet sein. «Wir sollen umgesiedelt werden», klagen die Häuptlinge und zeigen auf die Hütten. Sie sind ausgemessen und mit roter Farbe markiert.
Bald wird nichts mehr so sein, wie es heute ist. In Nong Khiaw laden wir die Kajaks auf einen Bus, verlassen den immer breiter werdenden Nam Ou River. Die Fahrt wird auf dem rasanteren Nam Xeng River fortgesetzt. Die Stromschnellen nehmen zu. In Ban Had Keo schlagen wir ein letztes Mal die Zelte auf. Die Roten Dao laden uns zum Fischen mit dem Speer ein. Vor kichernder Menge versuchen wir unser Glück. Vergebens. Es ist, als suche man die berüchtigte Nadel im Heuhaufen!
Die Buschtoilette befindet sich im Wald.
Hoffentlich zwickt einem kein Skorpion in den Po! Am nächsten Morgen baden wir in einem glasklaren Wasserfall. Eine Affen-Mama schaut uns zu. Nach Tagen in der Abgeschiedenheit lassen wir den Urwald hinter uns, müssen uns erst wieder an die Touristen gewöhnen, die zu den bekannten Pak-Ou-Höhlen pilgern. Hier fliesst der Nam Ou River in den Mekong. Ein mystischer Ort!
4000 Buddha- Statuen sorgen für ein spirituelles Om-Erlebnis. Nach einem Elefantenritt im Mandalao Sanctuary Resort wartet in der früheren Königsstadt Luang Prabang das erste kühle Bier. Moderne trifft auf Tradition. Auch bei Mister Snake. Der rothaarige Kauz ist bekannt für seinen Schlangenschnaps. In Einmachgläsern schwimmen Skorpione, Tausendfüssler und heilende Ginsengwurzeln. Das undefinierbare Hexengebräu schmeckt vorzüglich – mit geschlossenen Augen. Om-mässig stossen wir jetzt schon aufs nächste Laos-Abenteuer an.
Anreise: Mit Swiss über Bangkok nach Laos. Die einwöchige Kajaktour auf dem Nam Ou River ist eine Entdeckungsreise für Abenteuerlustige und startet in der alten Königsstadt Luang Prabang.
TEXT UND FOTOS CAROLINE MICAELA HAUGER
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