Arktische Safari – SI Cruise
Eine Expedition durch die Welt der Eisbären führt zu UNGEAHNTEN SCHÖNHEITEN. In der kargen Landschaft Spitzbergens blühen Pflanzen im Miniformat, leben Rentiere und faszinierende Vogelarten. Wer einmal Polarluft geschnuppert hat, kommt immer wieder!
Bewaffnete Spaziergänger sind in Longyearbyen ebenso normal wie die unzähligen Schneemobile, die während des Sommers wie gestrandete Wale vor den Häusern herumstehen. Wer auf Spitzbergen leben will, muss wegen der Eisbären schiessen lernen. Nach Longyearbyen, dem Hauptort von Spitzbergen, verirren sich die Tiere jedoch selten. Wer sich innerhalb des Dorfs bewegt, kann dies auch ohne Waffe tun. Die meisten Touristen verbringen ihre erste Nacht hier – egal, ob sie eine Reise mit dem Expeditionsschiff oder eine geführte Wandertour unternehmen. Besonders schön ist Longyearbyen nicht. Wenn der Nebel tief liegt, wirkt die ehemalige Kohlebergbau-Siedlung ziemlich trist.
Zum Glück sorgen die Hotels im nordischen Wohnstil für Gemütlichkeit. Das Café Fruene im Zentrum verkauft nebst Latte macchiato und Zimtschnecken auch hausgemachte Pralinés in Eisbärenform. An der Hauptstrasse reihen sich die Outdoor-Läden und bieten alles, was der abenteuerlustige Mensch von heute zum Überleben in der Wildnis braucht.In Longyearbyen wurde schon so mancher vom arktischen Virus gepackt, zum Beispiel Marcel Schütz.
Mit achtzehn reiste der Berner erstmals für eine Skitour nach Spitzbergen. Inzwischen spricht er Norwegisch (die Insel steht unter norwegischer Verwaltung), besitzt eine Wohnung in Longyearbyen und ein Reisebüro. Nicht mal die langen Winter, wenn die Sonne von Ende Oktober bis Mitte Februar unter dem Horizont bleibt, haben den 27-Jährigen von einem Leben in der Arktis abgeschreckt. «Man muss dann einfach raus in die Natur und etwas unternehmen», klingt sein simples Rezept gegen den Winterblues. «Zum Beispiel eine Tour mit Schlittenhunden oder mit dem Schneescooter und Nordlichter beobachten.»
In den Sommermonaten sind Schiffsexpeditionen eine komfortable und spannende Möglichkeit, Spitzbergen und seine Nachbarinseln zu erleben: Das Treibeis hat sich in dieser Zeit entfernt, die Fjorde sind befahrbar, eine Umrundung Spitzbergens ist möglich. Und die Chancen, Eisbären in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, stehen gut. Auf der Insel und in den norwegischen Gebieten der Barentssee leben 975 Eisbären. Grundsätzlich muss man bei jedem Landgang damit rechnen, einem Bären zu begegnen. Aus diesem Grund halten sich die Tourguides strikt, gar pedantisch an die Vorschriften. Vor jedem Ausflug mit dem Zodiac, dem Schlauchboot, wird das Gelände observiert. Erscheint im Fernglas auch nur ein weisses bewegliches Pünktchen, wird die Expedition sofort abgebrochen. Ist kein Eisbär an Land auszumachen, gelten während des Ausflugs klare Regeln: Die Gruppe bleibt immer zusammen, die Guides (mit Gewehr und Signalpistole ausgerüstet) bilden Start-und Schlusslicht. Diese Vorkehrungen helfen nicht nur den Menschen, sondern auch den Eisbären. Die Tiere sind geschützt. Jeder Abschuss ist illegal und wird untersucht und bestraft, falls nicht unverschuldete Notwehr vorliegt.
Wenn es das Wetter zulässt, unternehmen viele Expeditionstouren einen Abstecher Richtung Nordpol ins Packeis, in den eigentlichen Lebensraum der Eisbären. Für den Kapitän erfordert das Navigieren im Eis grosse Konzentration. Nur langsam bewegt sich das Schiff zwischen den riesigen, dicht aneinanderliegenden Schollen und stoppt, sobald ein Eisbär gesichtet wird. Besonders neugierige Tiere wagen sich auch mal bis an den Bug. Eine unglaubliche Begegnung! Oft sieht man die Eisbären nur durch den Feldstecher, was im ersten Moment enttäuschend sein kann, die Expeditionsreise aber kaum schmälert.
Denn dafür hält die arktische Natur einfach zu viel Faszinierendes bereit – den verspielten dicken Walrossen etwa könnte man ewig zuschauen, und auch Hobbybotaniker geraten ins Schwärmen ob der Pflanzenvielfalt, die es bei jedem Landgang zu entdecken gibt. Die Tundra breitet sich wie ein flauschiger Teppich über die Permafrostböden, und nur wer sich hinkniet, bekommt Eintritt in diese Miniaturwelt: Auf steinigem Untergrund blühen zarte Pflänzchen in Hellgelb oder Violett, wuchern weiche Moose oder farbige Flechten. In der Nähe von grösseren Vogelkolonien leuchtet dank Düngung die grüne Pflanzendecke besonders intensiv.
Ein fixer Anlaufpunkt jeder Schiffsreise ist das Alkefjellet, ein Basaltfelsen, in dem jeden Sommer Zehntausende Dickschnabellummen-Paare über dem Meer brüten. Die pinguinähnlichen Vögel legen ihre birnenförmigen Eier direkt auf den Stein. Bei Nebel kommt man sich am steil aufragenden, über hundert Meter hohen Alkefjellet wie in einem Schauplatz der Fantasy-Serie «Games of Thrones» vor. Dramatisches spielt sich an der Klippe beim «Lummensprung» ab, wenn die drei Wochen alten, noch flugunfähigen Küken ins Meer springen. Viele landen auf dem schmalen Tundra-Streifen, wo der Eisfuchs aufmerksam seine Runden dreht. Bei den Landgängen stösst man immer wieder auf historische Überreste: Walfischknochen, zerfallene Trapperhütten, rostige Kochtöpfe mitten in der Wildnis. Sie erzählen von den zahlreichen Walfängern, die ab dem 17. Jahrhundert nach Spitzbergen kamen, und von der Zeit, als Eisbären noch gejagt werden durften.
Eines der bekanntesten Dramen der Polargeschichte ist Umberto Nobiles misslungene Expedition zum Nordpol. Der Ankermast, von wo aus der Italiener 1928 mit seinem Luftschiff startete, steht immer noch beim Forschungszentrum Ny Ålesund. Heutige Expeditionsreisen wirken dem gegenüber wie banale Plauschfahrten. Und doch: Wenn das Wetter kehrt, die See stürmt und tobt, wird einem die Unwirtlichkeit der Gegend drastisch bewusst. Selbst die Abreise von der Insel ist nicht immer garantiert. Im Sommer liegt der Nebel manchmal so tief und dick über Longyearbyen, dass der Flughafen geschlossen wird und während Tagen nichts mehr geht. Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als im Hafen wieder an Bord zu gehen und die folgenden Tage im Ort zu vertrödeln. Die Wartezeit vertreibt man sich am besten mit Kaffeetrinken und Zimtschneckenessen – und beobachtet währenddessen, wie die Einwoher mit dem Gewehr auf dem Rücken von ihrem Sonntagsspaziergang zurückkehren.
TEXT: BARBARA HALTER,
FOTOS: VERONIQUE HOEGGER, BERNARD VAN DIERNDONCK UND ROLAND SCHMID
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