Karibische Lebensfreude in Jamaika
Seafood-Schmaus am Strand. Graffitikunst in der Hauptstadt. Trekking in den Blue Mountains. Eine Reise nach Jamaika hat mehr zu bieten als Badeferien, Bob Marley und Reggae.
Von Manuela Enggist (Text) und Olivia Pulver (Fotos)
Will man verstehen, wie Jamaika funktioniert, setzt man sich am besten in ein Lokal wie das «Fireman’s Lobster Pit» im Badeort Negril an der Westküste. Ricaldo Allen, wegen seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit dem US-Rapper allgemein nur Snoop Dogg genannt, stellt sich – gleichzeitig an einem Bier nuckelnd – als Chefkoch vor. Aus der ganzen Region kommen Einheimische wie Touristen in das kleine Beach-Lokal, um vor allem etwas zu probieren: den Hummer, Snoop Doggs Spezialität. Am Morgen kauft er den Fischern ihre Ware ab und verstaut den Fang in Hummerfallen im Wasser, um ihn so frisch wie möglich zu halten. Die Gäste können sich ihr Wunschobjekt, welches Ricaldo für sie auf dem Grill zubereiten soll, im Meer stehend, gleich selber aussuchen.
5 for the road
Flug:
Mit Edelweiss ab Zürich nach Montego Bay.
Übernachten:
Strawberry Hill Hotel in Irish Town.
Essen:
«Stush in the Bush» Veganes Achtgangmenü unter Palmen.
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Chillen:
«Ivan’s» Frozen Margaritas, frischer Fisch und cooler Sound in Negril.
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Drinks:
Appleton Rum Tour – das Nationalgetränk kennenlernen.
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Snoop Dogg ist in Plauderlaune
So zumindest die Theorie. Was nach einem geregelten Ablauf klingt, kann in der Realität nämlich eine Weile dauern. Ricaldo redet gern und viel. Mit seinen Gästen. Aber auch mit Freunden, die immer mal wieder am Strand auftauchen. Er erzählt von seiner Liebe zur jamaikanischen Küche («die frischeste und schärfste der Karibik») genauso begeistert wie von der bekannten Sängerin, die vergangene Woche da war, deren Namen er aber nicht verraten will.
Dazwischen lässt er immer mal wieder ein «soon come, soon come» hören. Ein Ausdruck, der uns auf dieser Reise begleiten wird. Es soll so viel heissen wie «es wird schon kommen». In Jamaika bedeutet das: bald, irgendwann, nächste Woche. Oder wie Einheimische amüsiert sagen: Es wird dann kommen, wenn man schon vergessen hat, dass man darauf wartet. Für uns heisst das: ein kühles Red Stripe trinken, den Reggae-Klängen und Ricaldos Erzählungen lauschen und das Treiben am puderzuckerweissen Strand beobachten. Es könnte schlimmer sein. So funktioniert Entschleunigung auf Jamaikanisch.
Das «Fireman’s Lobster Pit» befindet sich am nördlichen Ende des legendären Seven Mile Beach, eines der schönsten Strände im Westen des Landes. In den Siebzigerjahren zog die Region Hippies und Aussteiger an, heute boomt hier der Tourismus. Besonders beliebt: das Rick’s Café, wo sich Touristen und Einheimische von Felsklippen ins Meer stürzen. Auch gut besucht: die YS Falls. Eine Schlucht mit sieben Wasserfällen, die natürliche Pools bilden, in denen man schwimmen kann.
Wie sich die Region in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat, weiss Juddy James am besten. Die Jamaikanerin führt seit Jahrzehnten Juddy’s Variety Store, ein Souvenirgeschäft. Äusserlich habe sich die Gegend zwar verändert, sagt sie. «Es gibt mehr Hotels, Geschäfte, Verkehr.» Aber der Vibe sei der gleiche geblieben. «Im Herzen haben wir Jamaikaner uns nicht verändert.» So seien die Vorlieben der Einheimischen noch immer dieselben. «Wir hören nicht Reggae, um irgendein Klischee zu bestätigen, welches die Touristen von uns hegen. Wir hören diese Musik, weil wir sie lieben und sie zu uns gehört.»
Juddy ist es wichtig, keinen «Ramsch aus China» zu verkaufen. Daher ist das meiste in ihrem Geschäft auch von Hand gemacht. Das Häkeln von Bikinis und Taschen hat sie von ihrer Mutter gelernt. Auch die beliebten Strohhüte sind made in Jamaica. Seit Jahren bezieht die Verkäuferin die Hüte von Frauen, die auf dem Land leben und sonst kein Einkommen hätten.
Aussergewöhnliches Gastro-Konzept im «Bush»
Tradition und Kultur, dafür steht auch das «Stush in the Bush»: ein tropisches Farm-to-Table-Erlebnis weiter nordöstlich in der Region von Free Hill nahe der Hafenstadt Ochos Rios. Eingebettet in grüne Hügel, zwischen Palmen und Avocadobäumen mit flatternden Kolibris im Garten, liegt die Farm von Lisa und Chris Binns. Am Anfang von «Stush in the Bush» steht die Liebesgeschichte der beiden. Lisa und Chris lernen sich kennen, als Lisa ihre Ferien in Jamaika verbringt. Chris lebt damals laut eigener Aussage als «stoischer Eigenbrötler» auf der Farm seiner Vorfahren. Lisa ist Schuldirektorin, geboren auf Barbados, aufgewachsen in New York. Die beiden verlieben sich, heiraten, Lisa zieht nach Jamaika.
Chris lebt lose nach den Prinzipien der Rastafaris. Einer Bewegung, die in Jamaika in den Dreissigerjahren als Antwort auf den britischen Kolonialismus entstand. «Für mich bedeutet das vor allem, im Einklang mit der Natur zu leben», sagt der gross gewachsene Mann mit dem scheuen Lachen und Rastazöpfen, die ihm bis zum Gesäss reichen.
Um gesund und geistig mit der Erde verbunden zu bleiben, ernähren sich Rastafaris möglichst umweltbewusst, verzichten auf Zusatzstoffe und Fleisch in ihren Gerichten. «‹Ital› nennen wir das», sagt Chris. So wird auch im «Stush in the Bush» auf Tierprodukte verzichtet.
Weil es seine Lebensweise mit Gästen aus der ganzen Welt teilen will, entscheidet sich das Paar vor Jahren, Menschen auf seine Farm einzuladen. Chris will den Besuchern erklären, was er alles anbaut. Lisa, die das Kochen von ihrer Mutter gelernt hat, soll für das leibliche Wohl der Gäste sorgen. Das «Stush in the Bush» ist geboren. Zu Beginn serviert Lisa Pizza, eine Hommage an ihre alte Heimat New York. Mittlerweile ist daraus ein ausgedehntes kulinarisches Erlebnis mit acht veganen Gängen geworden. Etwa Lisas erster Speise, einer jamaikanischen Mezze-Platte. Von den Kochbananen über die Süsskartoffeln mit Kokosnusskruste bis hin zu den Jackfruits, die Lisa zu einem würzigen Hummus verarbeitet, stammt alles aus dem Garten von Chris.
Ab nach Kingston
Auf einer Reise nach Jamaika ist ein Besuch in Kingston, der Hauptstadt, Pflicht. Hier begegnet einem an praktisch jeder Strassenecke Bob Marley. Sei es in Form von Graffitis an der Water Lane, dem Kunstviertel der Stadt. Oder als Statue in Parks. Wer so richtig in das Leben des Nationalhelden eintauchen will, besucht am besten das Bob Marley Museum an der Hope Road. Es ist sein einstiger Wohnsitz. Es war auch einer der ersten Orte, die der ehemalige US-Präsident Barack Obama besuchte, als er nach Jamaika reiste.
Trekking in Jamaika
In den Blue Mountains gibt es nicht nur wunderbare Trekking-Möglichkeiten, sondern auch eine der stylischsten Unterkünfte des Landes. Das Strawberry Hill mit seinen dreizehn weissen Holzhäusern, allesamt mit Balkon ausgestattet, ist seit den Neunzigerjahren Anziehungspunkt und Inspirationsquelle für Musiker und Gäste aus aller Welt. Kein Wunder: Auch Bob Marley hat hier einst die Aussicht genossen.
Das Hotel wurde 1994 vom britischen Musikproduzenten Chris Blackwell gekauft, der neben jamaikanischen Reggeamusikern auch Bands wie U2 produzierte. Gerade auch für Einheimische ist das Hotel ein beliebter Rückzugsort, um das Wochenende am Pool plantschend zu verbringen.
Und so endet die Reise, wie sie begonnen hat. Mit einem kühlen Red Stripe, besten Aussichten und Gesprächen mit leutseligen Jamaikanern, die uns Geschichten von ihrem Land erzählen.
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